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Sokratischer Dialog

Coaching gilt oft als relativ junge Disziplin – dabei ist es in Wirklichkeit schon über 2400 Jahre alt. Der erste Coach der Weltgeschichte war Sokrates. Seine Art, Fragen zu stellen, lockte bei seinen Gesprächspartnern Erkenntnisse hervor, über die sie selbst vorher vermutlich nie nachgedacht hatten. Ihm wird folgendes Zitat zugeschrieben: „Lernen besteht in einem Erinnern von Informationen, die bereits seit Generationen in der Seele des Menschen wohnen.“ Besser kann man Coaching nicht beschreiben.

Inhaltsverzeichnis

  1. Herkunft / Hintergrund
  2. Anwendung / Einsatzmöglichkeit
  3. Ziel
  4. Einsatz verschiedener Dialogtypen
    1. Explikative Sokratische Dialoge
    2. Normative Sokratische Dialoge
    3. Funktionale Sokratische Dialoge
  5. Einsatz im Coaching
  6. Frageformen
  7. Hinweise
  8. Dauer

Herkunft / Hintergrund

Sokrates
Sokrates (Pixabay: © raiPR)

Sokrates war ein Philosoph im antiken Griechenland und kann als Urvater des Coachings bezeichnet werden. Sein ganzes Leben lang führte er mit anderen Menschen Gespräche über deren Ideen. Durch seine Art, Fragen zu stellen, ging er diesen Ideen auf den Grund und überprüfte so gleichermaßen, wie tragfähig sie waren. Auch seine Gesprächspartner, ihre Auffassungen und ihre Lebensweise betrachtete er sehr genau und hinterfragte sie in seinen Dialogen. Dabei gab er keine Ratschläge, sondern nahm die Überzeugungen der Menschen genau unter die Lupe. Er unterschied sich dadurch von den anderen großen Rhetorikern seiner Zeit, die in erster Linie belehren und überzeugen wollten. Die Vorgehensweise von Sokrates war dagegen non-direktiv, er hinterfragte sehr gründlich und hörte zu. Er gab sich als „nicht wissend“ und regte dadurch seine Gesprächspartner an, sich eigene Gedanken zu machen. Diese Gesprächsführungskunst nannte er auch „Mäeutik“ (Hebammenkunst), denn er war der Überzeugung, dass die Wahrheit in jedem Menschen schon angelegt ist und nur ans Licht gebracht werden muss. Seine speziellen Fragetechniken, die sein Gegenüber durch einen Prozess der Selbstreflexion schicken, auch bei emotionalen Problemen, finden wir in weiterentwickelter Form in Coaching und Therapie wieder. Sokrates selbst hat keine Schriften überliefert, das meiste, was wir über ihn wissen, stammt von seinen Zeitgenossen Platon und Xenophon.

Der Sokratische Dialog (bzw. die Sokratische Gesprächsführung) ist heute eine Methode, die dialogisch, also als Zwiegespräch, stattfindet. Es handelt sich um einen Gesprächsführungsstil, der unterschiedliche Fragetechniken beinhalten kann. Der Sokratische Dialog ist nicht zu verwechseln mit dem „Sokratischen Gespräch“. Bei diesem handelt es sich um eine moderierte Gruppendiskussion, die von Leonard Nelson und Gustav Heckmann entwickelt wurde.

Der Sokratische Dialog wird meist der Kognitiven Verhaltenstherapie zugeordnet. Er kann jedoch in vielen Therapieformen und psychologischen Schulen integriert und verwendet werden: In der humanistischen Psychologie ebenso wie bei psychoanalytischen und tiefenpsychologischen Ansätzen, bei Kognitiver Therapie und Gesprächstherapie. Im Coaching kommt vor allem die funktionale sokratische Gesprächsführung zum Einsatz. Die zentralen Fragestellungen, die im Sokratischen Dialog bearbeitet werden, sind

  • „Was ist das?“
  • „Darf ich das?“
  • „Soll ich das?“

Durch das konsequente Hinterfragen werden Aussagen und Denkmuster des Klienten offengelegt und auf mögliche Widersprüche geprüft. Auf eine kognitive Art werden dysfunktionale und limitierende Ansichten umstrukturiert. Diese bisherigen Ideen werden vom Klienten selbst widerlegt, so dass sie eigenständig zu neuen Überzeugungen gelangen. Diese Einstellungsänderungen sind in der Regel sehr stabil und nachhaltig.

Anwendung / Einsatzmöglichkeiten im Coaching

Der Sokratische Dialog bietet sich im Coaching vor allem bei folgenden Fragestellungen an:

  • Zielkonflikte
  • Wertekonflikte
  • Zielunklarheit
  • Entscheidungsfindung
  • Veränderung stark limitierender Glaubenssätze und Ansichten
  • Negatives Selbstbild

Ziel

  • Übernahme von Verantwortung für sich selbst
  • Entwicklung eigener Ziele und Lebensinhalte
  • Selbstbestimmung des Klienten
  • Förderung selbständigen Denkens
  • Festlegung eigener Werte und Normen
  • Etablierung neuer, zielführender Glaubenssätze und Überzeugungen

Einsatz verschiedener Dialogtypen

H.H. Stavemann unterscheidet folgende Einsatzmöglichkeiten für Sokratische Dialoge:

  1. Explikative Sokratische Dialoge (explikativ = erklärend)

    Bei dieser Dialogform steht die Frage „Was ist das?“ im Vordergrund. Sie dient der Definition von Begriffen und welche persönliche Bedeutung damit für den Einzelnen verbunden ist. Beispiele für Themenbereiche sind

    • „Was verstehe ich unter Liebe?“
    • „Was ist Vertrauen?“
    • „Was ist für mich moralisch?“
    • „Was ist ein wertvoller Mensch?“ etc.

    Sie dienen zur Verbesserung der Kommunikation (z.B. bei Paaren), klare Bestimmung von Zielen und Moralvorstellungen und dem Aufbrechen limitierender Überzeugungen.

  2. Normative Sokratische Dialoge

    Hier steht die Frage „Darf ich das?“ im Vordergrund. Es geht um die Klärung von eigenen ethisch-moralischen Fragestellungen und die damit verbundenen Entscheidungen / Auswirkungen auf das eigene Leben. Themenbereiche sind zum Beispiel:

    • „Darf ich mich von meinem kranken Partner trennen?“
    • „Darf ich lügen, wenn es mir nützt?“
    • „Darf ich meine Kinder unterschiedlich gern haben?“ etc.
  3. Funktionale Sokratische Dialoge

    Hier geht es um die Frage „Soll ich das?“ und beschäftigt sich damit, wie zielführend und funktional bestimmte Einstellungen oder Handlungen des Klienten sind. Bei Bedarf werden Zielhierarchien erstellt, um die passenden Alternativen zu finden. Außerdem werden mögliche Vermeidungshaltungen ausfindig gemacht. Themen sind beispielsweise

    • „Soll ich den aktuellen Arbeitsplatz aufgeben und mich selbständig machen?“
    • „Soll ich mich von meinem Partner trennen?“
    • „Soll ich in den Vorruhestand gehen?“

Einsatz im Coaching

Ein möglicher Ablauf im Coaching kann (angelehnt an Stavemann) beispielsweise so aussehen:

  • Themenauswahl
    (z.B. „Wie bestimmt man Erfolg?“)
  • Definitionsversuch durch den Klienten
    (z.B. „Was genau ist das, ein erfolgreicher Mensch / ein erfolgreicher Verkäufer?“)
  • Konkretisierung mit Alltagsbezug
    (z.B. „Wie genau müssen Menschen (Verkäufer) in Ihrer Umgebung sein / welche Eigenschaften müssen sie erfüllen, damit Sie sie für erfolgreich halten?“)
  • Widerlegung der genannten Definition
    (Aufzeigen von logischen Widersprüchen, z.B. „Heißt das, wenn ein Mensch erfolgreich ist, dass er …? Immer und jederzeit?“ etc., bis beim Klienten eine erwünschte Verwirrung auftritt)
  • Suche nach zielführender Definition
    (gemeinsame Suche: „Wie könnte Erfolg darüber hinaus definiert werden, damit Sie…?“)
  • Ergebnis und abschließende Prüfung der neuen Definition
    (z.B. „Das heißt, ein erfolgreicher Mensch bedeutet jetzt für Sie, dass…?“)

Frageformen im Sokratischen Dialog

Fragezeichen
Fragezeichen (iStock: © lionvision)

Die Fragen sollten generell auf die Möglichkeit einer Veränderung ausgerichtet sein. Sie sollten einen Lernprozess anregen und neue Perspektiven eröffnen. Mögliche Fragetypen sind:

  • Nachfragen und Konkretisieren
    „Wieso?“ „Was genau meinen Sie damit?“ „Wie genau meinen Sie das?“ „Wie kommen Sie zu der Überzeugung?“ „Was wäre, wenn…?“ „Was ist die Konsequenz, wenn…?“
  • Verständnisfragen
    „Das habe ich nicht ganz verstanden, können Sie mir das bitte noch einmal erklären?“
  • Konfrontation mit Widersprüchen
    „Vorhin hatten Sie gesagt…, doch jetzt gerade meinten Sie…, können Sie mir das nochmal erklären, ich kann da jetzt keinen Zusammenhang herstellen.“
  • Weitere Fragemöglichkeiten
    „Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie …?“ „Wie oft ist Ihnen dies schon passiert?“ „Wieso glauben Sie, dass X eintreten würde, wenn Sie doch …?“ „Wobei hilft Ihnen …?“ „Was ist nützlich an X gewesen?“ „Wie geht es Ihnen damit, wenn X zu Ihnen sagt… / wenn Y das macht?“

Hinweise

Der Einsatz des Sokratischen Dialogs sollte sehr sorgfältig erfolgen. Wichtig ist, ausreichend Zeit einzuplanen, damit der Dialog auch beendet werden kann. Der Coach sollte mit der Methode gut vertraut sein und keine eigenen Ziele damit verfolgen. Gleichzeitig sollte er erkennen können, ob neue Lösungen möglicherweise zu anderen Limitierungen führen können. Auch hier gilt, wie bei fast allen Coaching-Tools, dass ein guter Draht zwischen Coach und Klienten eine wichtige Voraussetzung ist. Sonst besteht leicht die Gefahr, dass der Klient sich „seziert“ fühlt und das Vertrauen verliert. Einzelne der genannten Fragestellungen können jedoch jederzeit situativ in Coaching-Prozessen angewandt werden, auch wenn es sich dabei streng genommen nicht mehr um den Sokratischen Dialog handelt.



Uhrzeit Dauer

Dauer

Der Zeitaufwand beträgt beim klassischen Sokratischen Dialog mehrere Sitzungen von mindestens einer Stunde Dauer. Beim Einsatz des Sokratischen Dialogs im Rahmen eines Coachings können jedoch auch einzelne Fragen oder Segmente situativ eingesetzt werden. Auch ausgewählte, wichtige Themenbereiche können in einer Coaching-Einheit durch den Dialog bearbeitet werden (Dauer ca. 60-90 Minuten).