Tilgung / Auslassung / Informationsfilterung (Deletion)
Definition
Tilgung beschreibt im NLP ein grundlegendes Prinzip menschlicher Wahrnehmung und Informationsverarbeitung. Dabei werden bestimmte Informationen aus dem individuellen Weltmodell einer Person ausgelassen oder weggelassen, um die Komplexität der Realität zu reduzieren. Auf sprachlicher Ebene bedeutet Tilgung, dass Teile der Tiefenstruktur (die vollständige Bedeutung einer Aussage) beim Übergang zur Oberflächenstruktur (dem tatsächlich Gesagten) weggelassen werden. Dieser Mechanismus hilft, Informationen effizient zu verarbeiten, führt jedoch dazu, dass innere Landkarten oft unvollständig sind, weil wichtige Details fehlen.
Beispiel
Eine Person sagt: „Ich bin gestresst.“
Getilgte Informationen:
Was genau stresst Dich? In welchem Kontext fühlst Du Dich gestresst?
Meta-Modell-Fragen:
„Wodurch genau fühlst Du Dich gestresst?“ oder „Wann tritt dieser Stress auf?“
Ursprung und theoretischer Hintergrund
Das Konzept der Tilgung wurde von Richard Bandler und John Grinder im Rahmen des Meta-Modells der Sprache entwickelt. Es basiert auf der Transformationsgrammatik von Noam Chomsky, insbesondere auf der Unterscheidung zwischen Tiefen- und Oberflächenstruktur. Tilgung tritt in allen Phasen der Wahrnehmung auf – von der Sinnesaufnahme bis zur sprachlichen Repräsentation. Im NLP gilt sie als natürlicher Filtermechanismus, der Informationsüberflutung verhindert, gleichzeitig aber auch zu Missverständnissen oder eingeschränkten Sichtweisen führen kann. Ziel vieler NLP-Interventionen ist daher die Rekonstruktion der getilgten Informationen, um das Verständnis und die Handlungsmöglichkeiten zu erweitern.
Anwendungsbeispiele
- Im Coaching: Klient: „Ich kann das nicht.“ → Meta-Modell-Frage: „Was genau kannst Du nicht?“ oder „Was hindert Dich daran?“ → Ziel: Die getilgte Information wiederherstellen und spezifische Hindernisse identifizieren.
- In der Therapie: Klient: „Ich bin unglücklich.“ → Meta-Modell-Frage: „Woran machst Du das fest?“ oder „Was fehlt Dir, um glücklich zu sein?“ → Ziel: Den emotionalen Zustand konkretisieren und neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen.
- In der Kommunikation: Tilgungen erkennen, um Missverständnisse zu vermeiden und präzisere Rückfragen zu stellen.
Einsatzbereiche
- Therapie: Aufdecken unbewusster Überzeugungen und Wiederherstellung der vollständigen Bedeutung einer Aussage.
- Coaching: Förderung von Selbstreflexion durch gezielte Exploration getilgter Informationen.
- Kommunikation: Verbesserung von Klarheit und Präzision im Gespräch.
- Persönlichkeitsentwicklung: Bewusstmachung innerer Wahrnehmungsfilter und Erweiterung der Perspektive.
Methoden und Übungen
- Meta-Modell-Fragen stellen:
Identifiziere Sätze mit unvollständigen Informationen und frage gezielt nach. Typische Fragen sind:
- „Wer genau?“
- „Was genau fehlt?“
- „Wie genau passiert das?“
- Bewusstwerdung üben: Schreibe häufig verwendete Aussagen auf und untersuche, welche Informationen ausgelassen wurden. Ergänze sie zu vollständigeren Bedeutungen.
- Milton-Modell-Technik: Verwende absichtlich ungenaue oder tilgende Sprachmuster, um den Zuhörer zur eigenen Bedeutungsbildung anzuregen. (Beispiel: „Du weißt genau, wie Du Dich jetzt entspannen kannst.“)
Synonyme oder verwandte Begriffe
- Informationsauslassung
- Deletion
- Filterung
Abgrenzung
Tilgung unterscheidet sich von anderen sprachlichen Prozessen im Meta-Modell:
- Generalisierung: Übertragung spezifischer Erfahrungen auf allgemeine Zusammenhänge („Immer mache ich alles falsch“).
- Verzerrung: Veränderung oder Umdeutung von Informationen („Er ignoriert mich mit Absicht“).
- Tilgung: Vollständiges Weglassen von Informationen („Ich bin gestresst“ – ohne Angabe des Kontexts oder der Ursache).
Wissenschaftlicher oder praktischer Nutzen
- Individuell: Fördert Bewusstsein für eigene Denk- und Sprachmuster.
- Praktisch: Unterstützt präzise Kommunikation und Verständnis durch gezielte Nachfragen.
- Wissenschaftlich: Verankert in linguistischen und psychologischen Theorien zur Informationsverarbeitung und Repräsentation.
Kritik oder Einschränkungen
- Abstraktion: Das Erkennen von Tilgungen erfordert Übung und linguistische Sensibilität.
- Subjektivität: Die Interpretation getilgter Informationen kann vom Kontext und der Wahrnehmung des Fragenden abhängen.
Literatur- und Quellenhinweise
- Bandler, R., & Grinder, J. (1975). The Structure of Magic I. Science and Behavior Books, Palo Alto.
- Jochims, R. (1995). NLP: Theorie und Praxis. Carl-Auer-Systeme, Heidelberg.
- Chomsky, N. (1965). Aspects of the Theory of Syntax. MIT Press, Cambridge.
Metapher oder Analogie
Tilgung ist wie ein Foto, bei dem ein Teil des Bildes abgeschnitten wurde:
Man erkennt den Hauptinhalt, aber die fehlenden Details verändern die Bedeutung. Erst wenn man das vollständige Bild sieht – also die getilgten Informationen wiederherstellt –, wird die gesamte Geschichte sichtbar und verständlich.






